29.12.2012
I,C 60
Lieber Herr Heckel,
über Ihr Lebenszeichen haben wir uns sehr gefreut, da wir nun wissen, dass Sie und Ihre Frau mit dem Leben davongekommen sind. Das gleiche ist auch von uns zu berichten.
Sie schrieben, dass Sie von allenthalben die schlimmsten Mitteilungen erhalten. Mir ergeht es auch so, und leider kann ich nur das gleiche berichten. Zuerst ist meine Wohnung mit den Atelierräumen dort in Flammen aufgegangen. Da diese Gefahr sehr groß war, hatte ich alles Wertvolle verteilt, darunter auch die Bilder. Zu den Parterreräume des Hauses in der Bleibtreustr., bei Dr. Möhring im ersten Stock Kantstr. bei der Gedächtniskirche. Auf dem Gute bei von Brockhusens in der Mark und in der Parterre-Wohnung meines Schwiegersohns in Friedenau. Bei einem Angriff wurde das Haus von Dr. Möhring vollständig zerstört. Kurz vor Ende der Feindseligkeiten wurde auch das Haus in der Bleibtreustr. bis in den Keller zerstört.
Das Gutshaus von Brockhusens wurde total geplündert, Frau von Brockhusen so gequält, dass sie sich mit ihren Geschwistern das Leben nahm. Die Wohnung meines Schwiegersohns blieb erhalten, wurde aber kurz bevor die Engländer Besitz von Friedenau nahmen, von den Russen geplündert, und was übrig blieb vom Berliner „Bergungsamt“ in „Verwahrung“ genommen.
Wir hier wurden zweimal von den Franzosen ausgeplündert, bis auf den Ehering am Finger meiner Frau.
Vergessen habe ich zu erwähnen, dass auch mein Atelier im Grunewald zerstört wurde, ein paar Sachen, die übrigblieben, wurden gestohlen. Selbst meine Modelle im Keller sind hin.
In Mainz ist das Geschäft meiner Brüder zerstört, und zwei meiner Geschwister und mein Schwager sind tot.
Hier musste ich das Atelierhäuschen, das ich gemietet hatte, fristlos verlassen und ich war unter die Polizeiaufsicht der Gestapo gestellt worden und wurde durch dieselbe verhaftet (ich wurde denunziert).
Lieber Heckel, machen wir einen Strich und versuchen wir zu vergessen. Vielleicht ziehen wir in die Nähe von München. Die Zuzugserlaubnis bekam ich und da ich einen amtlichen Schein über meine Wohnungsentziehung [?] und Verhaftung besitze, erhalte ich leichter eine Wohnung. Den Kunsthändler Franke habe ich auch in Seeshaupt b. München getroffen, ihn hatten die Amerikaner verhaftet:4 Wochen saß er wegen nichts. Auch Dr. Niehaus und Dr. Nemitz, mit denen ich befreundet bin. – Was haben Sie vor? Wollen Sie zurück nach Berlin? Sie müssten die Leitung einer Akademie übernehmen. Aber oh Gott, in einer zerstörten Stadt!
Ich bedauere, dass Sie z. Zt. nicht Verhältnisse zum Malen sich schaffen können. Ich könnte Ihnen vielleicht behilflich sein. Jedenfalls fahre ich nächstens nach dem Schwarzwald, Zell Wiesental. Ich habe dort einen Freund, dem dort mehrere Fabriken gehören und der viel machen kann und auch tut.
Mit den herzlichen Grüßen an Sie und Ihre Frau
Ihr Philipp Harth
auch von meiner Frau
P.S. von Ida Harth:
Lieber Herr und liebe Frau Heckel: Wie unglücklich wir über all diese Verluste sind, kann ich kaum ausdrücken, die Bilder dachten wir im Parterreraum in der Bleibtreustr. am besten verwahrt, so wäre es auch gewesen, wenn der Wahnsinn der Verteidigung nicht stattgefunden hätte und am 27. April dieses Jahres das ganze Haus und Keller ausbrannte. Frau Hentzen schrieb, Charlottenb. sei eine Oase. Mein Flügel, Noten, Bilder, Zeichnungen, Modelle, alles ist hin, wir haben nun nicht einmal noch ein Bett. Aber am schlimmsten traf uns die Verhaftung, von diesen Aufregungen konnten wir uns kaum erholen. Schreiben Sie uns bald wieder einmal, mein Mann fängt langsam wieder an, in Holz zu schnitzen.
Mit herzlichsten
Grüßen Ihre Ida Harth
P.P.S. von Ida Harth:
Frau Hentzen schrieb gestern einen langen Brief. Sie hat ihre Wohnung noch und wartet auf ihren Mann. Wissen Sie etwas von Tormählen?
Lieber Herr Heckel.
Was Sie in Ihrem Brief v. 27.4. schrieben, hat mich überzeugt. Der D.K.B. hat nur in Verbindung mit Ausstellungsmöglichkeit Sinn. Welch Schwierigkeiten. – Zonengrenzen, Verpackung usw. – In Bezug zu Berlin sehe ich schwarz. Die Stadt hat kein Hinterland – eine Grenzstadt. – Aus der Realität wird sich ergeben, wie weit Berlin überhaupt noch in Gewicht [??] kommt. – Ich bin fest der Überzeugung, dass weitere Auseinandersetzungen in Europa noch folgen. Das Durcheinander, das herrscht, spüren wir an den täglichen Schwierigkeiten. – Es ist schwer, von den Vorstellungen vor dem Kriege loszukommen. Aber lieber Herr Heckel, die Politiker handeln und wir sind die Opfer. Es gibt wirklich nur eine Frage für uns: können wir uns als Künstler betätigen. –
Von Schmidt-Rottluff erhielt ich gestern einen längeren Brief. Er schreibt „Anfangs hatte ich Lust, nach Berlin zu gehen. Damit ich hier herauskomme, denn dies war nie eine erfreuliche Ecke. Neuerdings bin ich allerdings für den ganzen Osten derart pessimistisch geworden, dass ich keinen rechten Antrieb nach Berlin mehr habe und tatsächlich nach dem Westen blicke. Was ist mit der Odenwaldschule?
Es könnte mich fast locken. Schreiben Sie bald näheres. Was die Russen beabsichtigen, ist vorläufig noch nicht recht sichtbar. Einstweilen propagieren sie „antifaschistische Kunst“. Ich habe den Eindruck, dass es den Sowjets gelungen ist, lebendige Kultur restlos zu erledigen.“ –
Der Arme befindet sich in fast noch ungeklärteren Lebensumständen wie wir. Von dort nach dem Westen, was für ein Umstand. Mit meinen paar Sachen von hier nach Bayern zu gelangen, ist mit einem Auto schon fast nicht möglich. – Ich baue mir eine Werkstatt und schaffe mir erst einmal einen festen Sitz. Umstände ermöglichen mir dies in Bayern, von Verwandten erhielt ich ein Grundstück. Sie haben recht: Halten Sie sich alles vom Hals, was von der Arbeit abhält. Gehen Sie auch nicht nach Tübingen, es lohnt sich nicht (ein enges Professoren-Städtchen).
Übrigens bin ich dort mit einem Dozenten für Kunstgeschichte Dr. Boeckbefreundet (35 Jahre alt). Ein lieber, geschickter und kunstinteressierter Mensch (der auch eine Lithographie von Ihnen in seinem Zimmer hängen hatte). Adr. von Dr. Boeck ist Hechingerstr. 14. Sollten Sie einen Wunsch in Betreff der Ausstellung haben, so schreiben Sie ihm, er ist bestimmt erfreut, Ihnen gefällig sein zu können.
– Bei mir hat Dr. Boeck angefragt wegen der Ausstellung, aber meine Holzarbeiten möchte ich nicht verschicken. Bald siedeln wir nun nach Bayern. Mit den herzlichsten Wünschen und Grüßen
Ihr Harth
P.S.: Sagen Sie Ihrer lieben Frau herzliche Grüße.
Lieber Herr Heckel.
Bei dem Brief an Sie kam mir der „Deutsche Künstlerbund“ in den Sinn. Ich würde vorschlagen, dass wir denselben wieder unter Ihrer Präsidentschaft entstehen ließen. Ich würde Passarge dafür interessieren, die Organisation zu übernehmen.
Der Geschäftssitz Mannheim. Wäre gut gelegen. Vielleicht gibt die Stadt die erste kleine Summe zum Anfangen? Bestimmte Künstler müssten zur Mitgliedschaft eingeladen werden und Kunstinteressierte als unterstützende Mitglieder. Auch Städte und Regierungen. In der Kunsthalle Mannheim könnte man die erste Ausstellung in Betracht ziehen?
Schreiben Sie einmal, was Sie in Beziehung zum Künstlerbund für Gedanken haben und zu meinem Vorschlag in Bezug zu Dr. Passarge denken. An Passarge zu schreiben, dies könnte ich übernehmen. Viele Grüße
Ihr Philipp Harth
Lieber Herr Heckel,
über den Holzschnitt zu Neujahr habe ich mich gefreut. Herzlichen Dank.
Ich habe mir eine neue Ordnung zum Arbeiten und Wohnen geschaffen. Der Hausbau ist mir überraschend gelungen. Es ist nur gut, dass ich die Schwierigkeiten, wie sich dieselben heute beim Bauen ergeben, nicht so vorausgesehen habe. Meine Betätigung als Bauarbeiter, Architekt, Bauleiter und Materialbesorger ist nun abgeschlossen und ich werde diesen Spuk bald vergessen haben. Aber es ist hübsch geworden – selbst ein Flügel hat sich leihweise eingestellt (der frühere ist mit den Flammen aufgegangen).
Dr. Köhn und Ehmsen mit denen ich zusammentraf, haben mir von Ihnen erzählt.
Ich bin gewohnt, alles was man als Künstler schafft, abzugeben und bin nun erstaunt, das Haus, das ich als begonnen und auch nur als Aufgabe betrieben habe, nun selbst bewohnen zu können.
Ihnen und Ihrer Frau herzliche Wünsche zum neuen Jahr
Ihr Philipp Harth
Mein lieber Heckel.
Frau Rohlfs schickte mir ein kleines Buch mit Abbildungen von ihrem Mann und mit einem Brief von Ihnen zu. Ich dachte mir, wenn Heckel noch so schöne Briefe schreibt, wird er auch gesund sein, was ich hoffe. Durch diesen Ihren Brief kamen mir die Erinnerungen an Sie und Ihre Frau in den Sinn. Die Besuche in Berlin in Ihrem Atelier, das Zusammensein in Magdeburg bei der letzten Künstlerbund-Ausstellung. Da wir durch die politischen Verhältnisse ohne Geld waren, sorgten Sie mit, dass eine Plastik von mir verkauft wurde und ich nach Florenz gehen konnte. – Die allerletzte Künstlerbund-Ausstellung in Hamburg kam mir in den Sinn. Wie waren wir naiv. Heiter waren wir zusammen, rauchten die guten Havanna Zigarren und freuten uns an der so gut gelungenen Ausstellung. Und dann folgte, einen Tag vor Eröffnung die Katastrophe. Wenn es herausgekommen wäre, dass Sie hinter der Ausstellung standen, hätte man Sie verhaftet. Hagemann und ich kamen vors „Ehrengericht“. Der Direktor vom Kunstverein sofort entlassen und der Künstlerbund aufgelöst. Dieser Spuk. Eine unglaubliche Wirklichkeit. – Durch die Darstellungen auf Ihren Holzschnitten und Bildern, was sind Sie ein „Verbrecher“ im Leben gewesen. – Die Vorstellung, dass Sie mit Ihrer lieben Frau in Ihrem hübschen Haus in Hemmenhofen still tätig sein können, ist für mich beglückend. Schmidt-Rottluff haben wir vor einem Jahr in Berlin besucht und schöne Stunden zusammen verlebt. Leider macht ihm sein Herz Schwierigkeiten.
Uns geht es gut, gesundheitlich, auch wirtschaftlich.
Ihnen und Ihrer lieben Frau herzliche Grüße und Wünsche
Ihr Philipp Harth
auch meine Frau grüßt herzlichst.
Mein lieber Herr Heckel, meine liebe Frau Heckel.
Seit langem wollte ich Ihnen schreiben. Kommen Sie uns in den Sinn, so denken – und sprechen wir von Ihnen voller Herzlichkeit. Abgesehen von Ihrem Aufenthalt hier werden beim Denken an Sie die Erinnerungen an Berlin wach, wenn Sie uns in Ihrer hübschen Dachwohnung Ihre neuesten Arbeiten zeigten. – Das Künstlerbundzusammensein in Magdeburg und das katastrophale in Hamburg. Als Künstlerdasein erscheint Ihr Leben organisch abgerundet. Aber miterlebend weiß ich nur zu gut von den sorgenvollen Zeiten, die Sie zusammen zu ertragen hatten, bis zur „Schande“ der öffentlichen Kennzeichnung. Klagend lernte ich Sie nie kennen. Es ist für uns eine beglückende Vorstellung, Sie beide in so schönerVerbundenheit zusammen zu wissen. Auch nach außen alles geregelt, entsprechend Ihrer künstlerischen Leistungen.
So gesehen gratulieren wir Ihnen zu Ihrer gemeinschaftlichen so besonderen Lebenserfüllung mit vielen Wünschen für das kommende Jahr
Ihr Philipp Harth und meine Frau
Lieber Herr Heckel.
Man hatte mir eine Stelle an der Akademie in Stuttgart angeboten. Ich war dort, aber als Bildhauer schienen mir die Umstände nicht für mich geeignet. – Ob Sie auf dem Lande, in Verbindung mit der Akademie eine Meisterklasse für Landschaft übernehmen würden? Ich sprach dort davon, man hätte sie gern dort. Schreiben Sie mir einmal, was Sie über einen solchen Vorschlag denken. – Wir wollen in die Nähe von München ziehen. Die Zuzugserlaubnis erhielt ich. Nun muss ich mir eine kleine Werkstätte selbst errichten lassen. – Also Sorgen und Schwierigkeiten. Aber irgendwann werden wir wieder ein Weiterkommen [?] finden.
Schmidt-Rottluff schrieb mir, herzlichen Dank, dass Sie ihm meine Adr. geschickt haben. Anbei einen Brief von Hofer. Geben Sie denselben nicht weiter, ich will Sie nur orientieren, wie es in Berlin ist.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Philipp Harth
Herzliche Grüße an Ihre Frau auch von meiner Frau.
Lieber Herr Heckel,
Ihren Brief erhielt ich heute. Ich habe die Berufung nach Stuttgart nicht angenommen, da ich mich wohl zu viel mit Umstände belasten müsste, die mir fremd sind. – Es ist sonderbar, nach dem letzten Krieg war ich tiefst erschüttert, ich hatte den Glauben an einen Umbruch, doch heute! Es bleibt nur die geistige Haltung wie vor diesem Kriege zu bewahren. Was ist denn inzwischen geschehen?
– Leere – Es bliebe heute die Schilderung des Elends, aber durch Darstellung auch noch dazu beizutragen! In Schrift und Bild besorgt dies die Propaganda. Ich kann nicht mehr hinhören und hinsehen, es gibt eine Grenze, das Erträgliche ist überschritten.
In Tübingen machte man eine Ausstellung „Religiöse Kunst der Gegenwart“, Kapellmeistermusik mit Motiven aus allen Zeiten. – Leerlauf. – Die Architektur ist der unmittelbarste Zeitausdruck. Vor diesem Kriege waren die Architekten so freundlich, die bildende Kunst als tot zu erklären. Aber es ist umgekehrt, die Architektur ist es, wenigstens vorübergehend. Musik, Dichtung und bildende Kunst (Malerei und Plastik) können um jede Zeit mit eigen geprägter Kultur existieren.
Was an menschlichen und geistigen Werten um eine Zeit lebendig sich auswirkt, heute erhalten blieb, drückt sich im künstlerischen Schaffen aus. – Darüber kann man sich jedoch nur unterhalten. Mein Interesse gilt nur der Kunst. – Nur die Künstler sind heute mit dem Wesentlichen verbunden. Sonst sehe ich nur Materialismus. – Sie schreiben „ein zu langes Abseits von einem großen Zentrum [?] führt zu Stillstand und Verarmung.“ Dies stimmt zwar. Ich jedoch denke an Kreise geistiger Übereinstimmung, wobei der Aufenthalt nicht so wesentlich ist.
Aber im Augenblick sind es Fragen des Alltags, die es gilt zu meistern. Wie Sie schreiben, „heizbaren Kamin mit genügend Licht“ – Umgebung anständiger Menschen. Hilfeleistung wirtschaftlicher Art. – Für alles, was uns schwer fällt, uns zu besorgen, da sonst keine Zeit bleibt für die Gedanken an die Arbeit.
Ihre Fragen bezüglich Stuttgarts sind richtig. – Ich schlage vor, diese Angelegenheit vorerst offen zu lassen.
In Mannheim war ich. Mitten in der Zerstörung steht unbeschädigt bis auf die Fenster die Kunsthalle. Auch die Sammlung ist erhalten, Passarge ist und bleibt in der Stellung. Auch seine Wohnung ist erhalten. Ich übernachtete bei ihm. – Einen Raum in der Kunsthalle hat er neu streichen lassen und die erste Ausstellung veranstaltet. Einige Arbeiten von Ihnen hingen auch. Zwei größere Arbeiten von mir, die die Kunsthalle besitzt, sollen demnächst vor der Kunsthalle aufgestellt werden. Passarge denkt daran, Künstler in die Nähe nach Mannheim zu holen.
Mich hätte er auch gerne dort. Ich sprach davon, dass ich Ihnen einmal in dieser Angelegenheit schreibe. Was ihm sehr lieb war. Passarge denkt an das Schloss in Schwetzingen, das zur Verfügung gestellt werden müsste. Das heißt einige Räume usw. – Schreiben Sie bitte Passarge, dass ich Ihnen schrieb. Übrigens kommtPassarge bald an den Bodensee. Verabreden Sie sich mit ihm. – Der Raum in Mannheim würde sich gut für eine Ausstellung Ihrer Arbeiten eignen. Könnten mit Auto geholt werden. – Ich fahre bald nach Tutzing, dort fand ich ein Unterkommen.
Mit herzlichen Grüßen Ihnen und Ihrer Frau von mir und meiner Frau
Ihr Philipp Harth
P.S.: Denken Sie daran, den Deutschen Künstlerbund wieder entstehen zu lassen?
Vielleicht interessieren Sie für das Organisatorische Dr. Passarge? Der Werkbund ist im Entstehen.
Thomählen, der Arme, hat alles verloren. Auch die Schriften mit George, Dr. Greisebiel ist auch ohne Unterkommen. Beide treffen sich mit Dr. Kirchner in der Odenwaldschule.
Lieber Herr Heckel.
Herr Dr. Passarge, der bei uns in Tutzing ein paar Tage sich aufgehalten hat, erzählte mir, dass er Sie in Tübingen gesprochen hat. Er sagte mir auch, dass Ihre Frau sich kurz über Schwetzingen erkundigt hat. Sollte die Frage für Sie z. Zt. von Bedeutung sein, so müsste man dies ernsthaft betreiben. Ich bin dabei, mir hier ein Atelierhaus mit Wohnung zu bauen, um mir auf alle Fälle einen festen Wohnsitz zu errichten. Sie können sich denken, was für Schwierigkeiten es für mich gilt zu überwinden. Aber es sieht so aus, als ob es gelingt. Mit Franke komme ich öfters zusammen. Die Nachrichten, welche ich aus Berlin erhalte, sind ungünstige. Ich glaube, dass es mit Berlin aus sein wird. – Grenzstadt ohne Hinterland. Schmidt-Rottluff schrieb, seitdem er mitteilte, dass er nach Berlin geht, nicht mehr, ich bin gespannt, was er berichtet. –
Wenn mein Haus hier steht, hoffe ich, Sie einmal mit Ihrer Frau bei uns einige Zeit zu sehen. Die Landschaft ist schön. Ich muss nun den ganzen Tag an Baumaterialien denken. –Von Amerika erhielt ich gute Nachrichten – auch eine Ladung Lebensmittel (Karl Nierendorf war hier). Adriani, der ein Buch über mich geschrieben hatte, ist in
Amerika in Kunstkreisen sehr bekannt geworden. Er schrieb, über deutsche Künstler könnte wieder geschrieben werden. – Oh Gott, wir armen Künstler in Zeiten des Krieges und der Politik!
Mit herzlichen Grüßen auch an Ihre Frau
Ihr Philipp Harth
Lieber Herr Heckel.
Seit längerer Zeit habe ich nichts von Ihnen gehört. Hoffentlich sind Sie nicht erkrankt. Ich bin noch dabei, meine Lebensumstände aufs Neue zu ordnen. Außer einigen Kleidungsstücken ist uns nichts geblieben. Ich musste mich ausschließlich darauf konzentrieren, alles aufs Neue zu erwerben. Die Aussichten, welche sich zum Unterkommen ergaben, zeigten auch Schwierigkeiten. Versprechungen, die bei der Überfüllung allenthalben schwer zu realisieren waren, man hätte immer am Ort sein müssen. Auch das Unterkommen im Schwetzinger Schloss, das Herr Dr. Passarge so optimistisch in Aussicht stellte (wobei ich auch an Sie dachte) hatte den Haken, dass es vorläufig besetzt ist. Passarge hoffte, es frei zu bekommen, doch in welcher Zeit? Ich machte deshalb mit all diesen Möglichkeiten Schluss und half mir selbst. Was ich denn auch aufs gründlichste besorgte. Meine Schwägerin hat hier ein Haus mit großem Garten. Wir sind bei ihr untergekommen und in dem Garten baue ich- Ich will die Schwierigkeiten übergehen, die sich dadurch ergaben und in denen ich mich auch jetzt befinde. Aber das Atelier steht nun fertig und der
Wohnteil ist im Entstehen, so dass ich hoffen kann, im Herbst ein neues Heim zu besitzen. – Die Gegend ist hier sehr schön. Gebirge und München nicht all zu schwer zu erreichen (2 Stunden). Sollten Sie einmal nach München fahren, so könnten Sie bei uns gut übernachten und ein paar Tage bleiben. Zum Essen würde es auch reichen. Vielleicht sehen Sie sich die Gegend einmal an. Wie ich weiß, arbeiten Sie gern einige Zeit an einem anderen Ort. Auf der Höhe hier sieht man weit nach Tirol. Es ist schade, dass ich kein Maler bin.
Gestern kam ich von München zurück, ich war zur Eröffnung der französischen Ausstellung eingeladen. Am selben Tage habe ich auch vor Studenten dort gesprochen. Ich hatte es erst abgelehnt, aber mich doch überreden lassen. Die
Dankbarkeit der jungen Menschen hat mich berührt, so dass ich die Mühe nicht bereut habe. – Über die Aussichtslosigkeit in Deutschland bin ich oft sehr bedrückt. Den Glauben an eine baldige neue Ordnung habe ich aufgegeben. Der Materialismus ist die einzige Triebkraft der Zeit.
Nolde schrieb mir einen verzweifelten Brief. Seine Frau ist gestorben. Dies ist das Schlimmste, was uns Künstlern heute treffen kann. Besonders wenn eine solche Gemeinschaftlichkeit wie bei Nolde, bei Ihnen und auch bei mir gegeben ist. – Inder Ausstellung traf ich auch Dr. Hanfstaengl, mit dem ich von Berlin befreundet bin. Auch Dr. Gall. Was er von Berlin erzählte, war erschütternd, alle Kunst geraubt.
Was er von Justi erzählte, war trostlos (keinerlei Bestand mehr). Herr Hanfstaengl beabsichtigt, im April hierher zu kommen, der Aufenthalt in München ist wie in allen Städten trostlos. Wenn Sie es einigermaßen möglich dort haben, bleiben Sie in Ihrem jetzigen Aufenthaltsort. Bei allem Unglück habe ich es doch nun wieder möglich getroffen und ich hoffe, dass nach Fertigstellung des Ateliers eine ruhige Arbeitszeit gegeben ist.
Dies wünsche ich auch Ihnen. Mit herzlichen Grüßen auch an Ihre Frau
Ihr Philipp Harth
Auch meine Frau lässt herzlich grüßen.
Ja, so nach und nach melden sich die zerstreuten Zeitgenossen und dem ansonsten von mir als Teufelsapparat geschätzten Radio verdanke ich mancherlei Nachricht und Lebenszeichen. Und alle möchten nach Berlin, auch aus Gegenden, wo im Verhältnis zu hier Milch und Honig, wenn auch Kunsthonig fließt, wo aber der geistige Tod umgeht wie auch in Ihrem Fall. Man muss die Ärmsten enttäuschen, also auch Sie, denn jeglicher Zuzug nach hier ist radikal gesperrt wegen der Lebensmittelknappheit, gesperrt selbst für Menschen, die nachweisen,dass sie hier eine Wohnung hatten. Aber immer gibt es welche, die es dennoch schaffen, wie, weiß ich nicht.
Es geht uns nur im Verhältnis zu den anderen Unglücklichen gut. Ich habe die Leitung einer aus 4 Abteilungen bestehenden Kunsthochschule übernommen, habe aber nicht einmal ein Atelier, es kümmert sich niemand darum, wie man durchkommt. […]
Macht bleibt sich immer gleich in dieser Hinsicht, und auch der Kommunismus bläst in das scheppernde Nazihorn. Für die bildende Kunst tun die Russen manches, aber es fehlt jegliche Grundlage zu Unterscheidungen. Die Angelsachsen haben wenig Interesse dafür. Theater und Bumslokale blühen. Man wohnt in Hausruinen, und bei Dunkelheit ist es nicht ratsam, auf die Straßen zu gehen.
Was Sie über meine Arbeit und mein Wesen sagen, ist gewiss richtig, aber ich bin kein Pessimist, denn der sieht die Dinge schlimmer als sie sind, und ohne Optimismus und irgend eine Gläubigkeit kann man nicht arbeiten. Ich habe eben manches vorfühlend gestaltet und das konnte nicht das Einbrechen eines glücklichen Zeitalters sein. Wir können nur auf die nachgeborene Jugend hoffen, die jetzige ist bis ins innere Wesen hoffnungslos versaut und nicht mehr zu ändern.
Gegen Krebs gibt es eben kein Heilmittel.
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